OVG Sachsen-Anhalt 10.11.2009

Abschrift
OBERVERWALTUNGSGERICHT
DES LANDES SACHSEN-ANHALT

3 L 398/08
4 A 415/05 HAL

BESCHLUSS

In der Verwaltungsrechtssache

der minderjährigen XXX, gesetzlich vertreten durch XXX und XXX
Klägerin und Antragsgegnerin,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte XXX

gegen
die Stadt XXX
Beklagte und Antragstellerin,

wegen
Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII durch Übernahme der Kosten für Besuch einer Dyskalkulietherapie hat der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt am 10.November 2009 beschlossen:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle – 4. Kammer – vom 24.Januar 2008 wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

G r ü n d e

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1) Die von der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil erhobenen Einwendungen rechtfertigen die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht.

a) Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, das Verwaltungsgericht habe die Stellungnahme des Herrn Dr. Steffen und seine Angaben anlässlich der Vernehmung als sachverständiger Zeuge im Verhandlungstermin vor dem Verwaltungsgericht am 24. Januar 2008 gemäß § 35 a Abs. 1 a Satz 4 SGB VIII nicht berücksichtigen dürfen, weil er als wissenschaftlicher Leiter des ZTR Halle-Leipzig tätig sei, in der die Klägerin seit Juni 2005 Leistungen in Form einer Einzeltherapie in Anspruch nehme. Auf welche Erkenntnisse das Verwaltungsgericht seine Entscheidung stützen darf und zu stützen hat, ergibt sich aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Danach entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Deshalb durfte und musste das Verwaltungsgericht die Stellungnahme von Herrn Dr. Steffen bei seiner Entscheidung berücksichtigen. Ob und inwieweit eine mögliche Interessenkollision den Wert und das Gewicht der Stellungnahme beeinflusst, ist eine Frage der Würdigung. Dass die Äußerungen des sachverständigen Zeugen unzutreffend sind, also auf unzutreffenden Beobachtungen oder methodisch fehlerhaften Schlussfolgerungen beruhen, zeigt die Beklagte mit dem Antrag nicht zulassungsbegründend auf. § 35 a Abs. 1 a Satz 4 SGB VIII steht der Berücksichtigung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entgegen. Nach § 35 a Abs. 1 a Satz 4 SGB VIII soll die Hilfe nicht von der Person oder dem Dienst oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden. Zweck dieser durch Art. 1 Nr. 13 Buchst. b des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz –KICK) vom 08. September 2005 (BGBl. S. 2729) eingefügten Regelung ist es, Interessenkollisionen zu vermeiden (BT-Drs.15/3676 S. 36). Sie ist dazu bestimmt, der abstrakten Gefahr entgegenzuwirken, die darin besteht, dass ein Gutachter sich gehalten sehen könnte, festzustellen, dass die seelische Gesundheit des Jugendlichen seit mehr als sechs Monaten von dem für sein Lebensalter typischen Zustand abweicht (vgl. § 35 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII), weil er sich davon verspricht, aufgrund einer auf seinem Gutachten beruhenden Entscheidung des Jugendhilfeträgers an der Leistungserbringung beteiligt zu werden und dadurch wirtschaftliche Vorteile erlangen zu können. Aus dieser Regelung lässt sich indes nicht im Umkehrschluss folgern, dass in einem auf die Übernahme von Kosten gerichteten Verfahren, das die Erstattung des Aufwands für eine den Bedarf deckende Hilfe zum Gegenstand hat, die vom Leistungsberechtigten im Wege der Selbstbeschaffung nach § 36 a Abs. 3 SGB VIII in Anspruch genommen worden ist, die Stellungnahme eines sachverständigen Zeugen deshalb gleichsam einem Beweisverwertungsverbot unterliegt, weil dieser beim Leistungserbringer tätig ist. Die gesetzliche Regelung verbietet nur (für den Regelfall) die Vergabe der Leistungen an den Leistungserbringer, bei dem der Gutachter tätig ist. Sie verhält sich nicht zu der im hier vorliegenden Fall zu beantwortenden Frage der Verwertbarkeit bzw. der Aussagekraft der Stellungnahme des Mitarbeiters eines Leistungserbringers zu Fragen des Hilfebedarfs.
Für eine entsprechende Anwendung der Regelung in dem Sinne eines Verwertungsverbots, wie es der Beklagten vorschwebt, ist kein Raum,, weil es schon an einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke fehlt. Zum einen ist das Verwaltungsgericht wegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet, seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu gewinnen, so dass es ihm gerade nicht gestattet ist, einzelne Ergebnisse des Verfahrens bei der Würdigung auszublenden. Zudem ist die Berücksichtigung der Möglichkeit von Interessenkollisionen in Bezug auf die Aussage- und Überzeugungskraft von Stellungnahmen und Gutachten Dritter eine Frage der Beweiswürdigung im Einzelfall.

b) Zu Unrecht wendet die Beklagte ein, die Aussagen und Stellungnahmen des Herrn Dr. Steffen und des Herrn XXX hätten „nicht verwertet werden“ dürfen, weil diese als Sozialwissenschaftler bzw. Pädagogen nicht zum Personenkreis i. S. d. § 35 a Abs. 1 a Satz 1 SGB VIII gehörten. Vielmehr hätte das Gericht anderen Stellungnahmen, namentlich der des Gutachters Prof. Dr. XXX vom 05. Februar 2007 folgen müssen, der zu dem Ergebnis gelangt sei, dass eine Dyskalkulie nicht vorgelegen habe. Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen ausgeführt, weshalb es dem Gutachter in diesem Punkt nicht gefolgt ist (UA S. 9). Die Beklagte bringt dagegen inhaltliche Einwände nicht vor. Soweit sie meint, die Stellungnahmen des Herrn Dr. Steffen und des Herrn XXX seien nicht zu berücksichtigen, weil Sozialwissenschaftler und Pädagogen nicht zu dem nach § 35 a Abs. 1 a Satz 1 SGB VIII zu einer Stellungnahme berufenen Personenkreis gehörten, greift der Einwand nicht durch. Auch hier gilt, dass es ein Verbot der Verwertung von Stellungnahmen anderer als der in § 35 a Abs. 1 a SGB VIII genannten Personen im Verwaltungsprozessrecht nicht gibt, und dass die Bewertung der Überzeugungskraft von Stellungnahmen und Aussagen eine Frage der tatrichterlichen Würdigung ist (s. o.).

c) Der Einwand, das Veraltungsgericht habe die Ergebnisse der Rechendiagnostik durch die Kinder- und Jugendtherapeutin XXX zu Unrecht als nicht aussagekräftig angesehen, ist unbegründet. Das Veraltungsgericht meint, der Schweizer Rechentest als standardisierter Test leide, wie die Zeugin XXX selbst eingeräumt habe, darunter, dass er lediglich die Ergebnisse der gestellten Aufgaben betrachte und ausblende, wie der Proband zu dem Ergebnis gelangt sei. Soweit die Beklagte hierzu geltend macht, der Schweizer Rechentest entspreche „dem aktuellen Testkatalog 2006/2007 der Göt-
tinger Testzentrale“, genügt dies nicht zur Darlegung (vgl. § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) ernstlicher Zweifel, weil dieser Vortrag nicht näher substanziiert wird. Anlass für eine nähere Erläuterung, weshalb der Schweizer Rechentest ein methodisch geeignetes Diagnoseverfahren darstellt, gibt bereits der Umstand, dass das Verwaltungsgericht hierzu festgestellt hat, dass das Verfahren nur die Ergebnisse, nicht aber die Rechenwege in den Blick nehme. Damit setzt sich die Beklagte nicht näher auseinander. Hinzu kommt, dass der von der Zeugin XXX angewandte sog. Schweizer Rechentest ein Testverfahren ist, dessen Normierung als veraltet gilt und dessen Einsatz deshalb nicht empfohlen wird (so unter: http://lernarchiv.bildung.hessen.de/dia_foe/dia_math/dia_mat/) und dessen Übertragbarkeit auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik wegen der Andersartigkeit der Lehrpläne in der Schweiz als problematisch angesehen wird (so unter: http://www.psylogo.de/diagnosik.html).
Soweit die Beklagte die Einschätzung der Zeugin XXX mit der Erwägung zu stützen sucht, diese habe den Test in der Weise angewandt, dass sie gerade nicht ausschließlich auf die Richtigkeit der Ergebnisse, sondern auch darauf abgestellt habe, ob der Rechenweg zutreffend gewesen sei, vermag dies die Würdigung durch das Verwaltungsgericht nicht zu erschüttern. Das Verwaltungsgericht hat dazu ausgeführt, dass auch die Anwendung des Testverfahrens im hier vorliegenden Einzelfall nicht überzeuge, weil dem Vortrag der Zeugin hierzu „Substanz und Überzeugungskraft“ nicht zuletzt deshalb gefehlt habe, weil die Zeugin „unsicher“ gewirkt habe. Diese Würdigung ist nicht zu beanstanden. Sie liegt nahe bereits deshalb, weil das Verwaltungsgericht das Testverfahren als methodisch ungeeignet angesehen hat und der Umstand, das ein methodisch ungeeignetes Testverfahren fehlerhaft angewendet worden ist, noch nicht belegt, dass das Ergebnis der Begutachtung zutreffend ist. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das nach der in der Sache zum Ausdruck gebrachten Auffassung des Verwaltungsgerichts auch dann gelten soll, wenn die Abweichung vom Testverfahren dazu dienen soll, die Schwächen des Testverfahrens zu kompensieren. Auch die Beklagte zeigt mit der Begründung des Zulassungsantrages nicht substanziiert auf, weshalb der von der Zeugin XXX durchgeführte Test ein zutreffendes Ergebnis erbracht haben soll. Es ist widersprüchlich und ohne nähere Darlegungen unzureichend, wenn die Beklagte einerseits geltend machen will, der Schweizer Rechentest sei ein methodisch geeignetes Verfahren der Rechendiagnostik, wenn sie andrerseits die von dem Testverfahren abweichende Handhabung des Tests durch die Zeugin XXX als zutreffend verteidigt.
d) Zu Unrecht rügt die Beklagte , das Verwaltungsgericht habe sich mit der Stellungnahme von Frau Dr. XXX vom 25.August 2205 nicht zutreffend auseinander gesetzt. Das Verwaltungsgericht habe nicht davon ausgehen dürfen, dass die Stellungnahme von Frau Dr. XXX nicht überzeuge, weil sie sich „im Wesentlichen in der Wiedergabe der von anderer Stelle erstellten Befunde“ erschöpfe, „ohne nachvollziehbar zu erläutern, wie der eigene Befund ermittelt“ worden sei. Die Beklagte hält dem entgegen, dass Frau Dr. XXX ihre Stellungnahme erstellt habe „aufgrund eigener ärztlicher Un-
tersuchungen am 12. Juli 2005“ und weiterer ihr vorliegender Unterlagen und Testergebnisse. Damit aber stellt sie die Richtigkeit der Würdigung durch das Verwaltungsgericht nicht ernstlich in Frage. Denn das Verwaltungsgericht hat nicht unterstellt, dass Frau Dr. XXX eigene Untersuchungen nicht angestellt habe. Es hat vielmehr ausgeführt, dass es die Stellungnahme von Frau Dr. XXX nicht für überzeugend gehalten hat, weil der Stellungnahme Angaben dazu fehlen, welche eigenen Untersuchungen sie angestellt haben will und welche Ergebnisse diese gehabt haben sollen.
e) Ohne Erfolg bleibt auch der weitere Einwand, das Verwaltungsgericht habe nicht annehmen dürfen, dass die Dyskalkulie für eine seelische Beeinträchtigung der Klägerin ursächlich gewesen sei.. Dabei mag der Beklagten zugestanden sein, dass das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. XXX vom 05. Februar 2007 eine solche Schlussfolgerung nicht rechtfertigt. Allerdings hat das Verwaltungsgericht seine Bewertung auch nicht auf den Inhalt des Gutachtens vom 05.Februar 2007, sondern (u. a.) auf die Erläuterungen des Gutachters in der mündlichen Verhandlung am 24. Januar 2008 gestützt, der auf Befragen des Gerichts erklärt hatte, dass „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ davon auszugehen sei, dass die aufgetretenen psychischen Störungen auf die Dyskalkulie zurückzuführen seien, wenn man eine solche als gegeben unterstelle (S. 7 der Sitzungsniederschrift vom 24.01.2008). Weshalb diese gutachterliche Äußerung angreifbar sein soll, legt die beklagte mit dem Zulassungsantrag nicht dar.
f) Schließlich hat die Beklagte die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die auf der Dyskalkulie beruhende Abweichung der seelischen Gesundheit vom alterstypischen Zustand habe zu einer Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft geführt, nicht in einer Weise in Frage gestellt, die ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung zu rechtfertigen geeignet wäre. Das Verwaltungsgericht hat seine Auffassung gestützt auf die „übereinstimmenden Feststellungen des sachverständigen Zeugen Dr. Steffen und des Sachverständigen Prof. Dr. XXX“, wonach die Klägerin in der Schule infolge ihrer Schwächen im Mathematikunterricht ausgelacht, gehänselt und ausgegrenzt worden sei. Entsprechendes sei auch vom Allgemeinen Sozialen Dienst der Beklagten in der Stellungnahme vom 15. Juni 2005 festgestellt worden. Auch in der Stellungnahme der Schule sei ausgeführt, dass die Klägerin in der Klasse eine Außenseiterposition einnehme und Freundschaften nicht geschlossen habe. Soweit die Beklagte meint, die Stellungnahme des sachverständigen Zeugen Dr. Steffen sei „nicht verwertbar“, irrt sie (s. o.: Ziffer 1 Buchst. a). Soweit sie meint, auf das Gutachten von Prof. Dr. XXX könne das Verwaltungsgericht diese Feststellung nicht stützen, weil dieser zu dem Ergebnis gekommen sei, dass bereits eine Dyskalkulie nicht vorliege, wird die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht in Frage gestellt, weil der Gutachter gleichwohl zu der Erkenntnis gelangt, dass die Klägerin „in der Klassengemeinschaft isoliert und ausgegrenzt wird“ (Gutachten Prof. Dr. XXX vom 05.02.2007, S. 18) Soweit die Beklagte geltend machen will, die Stellungnahme des (eigenen) Allgemeinen Sozialen Dienstes vom 15. Juni 2005 überzeuge nicht, weil sie im Wesentlichen auf den Angaben der Klägerin bzw. denen ihrer Eltern beruhe, ist dies nicht geeignet, die Feststellungen des Verwaltungsgerichts in Zweifel zu ziehen, weil das Gericht neben diesen Gutachten und Stellungnahmen auch die fachliche Stellungnahme der Schule vom 29.Juni 2005 berücksichtigt hat, in der ebenfalls ausgeführt wird, dass die Klägerin eine Außenseiterposition inne habe.
Der Einwand der Beklagten, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass Ursache für die Probleme im Fach Mathematik und die damit verbundene Außenseiterrolle der entgegen der Schullaufbahnempfehlung erfolgte Schulwechsel zum Gymnasium und der Umstand sei, dass die Klägerin ab dem 3. Schuljahr jährlich die Schule gewechselt habe, rechtfertigt die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ebenfalls nicht. Der Einwand der Beklagten rechtfertigt nicht die Feststellung, dass die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts inhaltlich unzutreffend ist, sondern nur, dass weitere Gesichtspunkte, die das Verwaltungsgericht nicht ausdrücklich gewürdigt hat, es gerechtfertigt hätten, dieser Frage weiter nachzugehen. Auf einen Verstoß gegen die Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 86 Abs. 1 VwGO) als einen Verfahrensmangel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO indes stützt die Beklagte den Zulassungsantrag nicht. Auch wenn man mit der Beklagten davon ausgehen wollte, dass der Akteninhalt auch andere Schlussfolgerungen gerechtfertigt hätte, wäre damit nur aufgezeigt, dass weitere Sachverhaltermittlungen erforderlich gewesen wären, nicht aber, weshalb mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sein soll, dass diese weiteren Ermittlungen das von der Beklagten als zutreffend angesehene Ergebnis erbracht hätten. Das genügt indes zur Darlegung (vgl. § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) des Zulassungsgrundes nicht, weil nicht jegliche Zweifel und damit die bloße Möglichkeit einer anderen Entscheidung in der Sache, sondern nur darüber hinausgehende „ernstliche“ Zweifel eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ermöglichen.
g) Zu Unrecht macht die Beklagte geltend, das Verwaltungsgericht habe sie nicht zur Kostenübernahme verpflichten dürfen, weil ihr ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum für die Frage eingeräumt sei, in welcher Weise dem Hilfebedarf Rechnung getragen werden könne. Denn bei einer Entscheidung über Notwendigkeit und Geeignetheit einer Maßnahme der Jugendhilfe handele es sich um das Ergebnis eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung des Kindes, mit dem Ziel, zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation eine fachlich vertretbare und nachvollziehbare Lösung zu finden. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung auf § 36 a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII gestützt, wonach der Träger der öffentlichen Jugendhilfe unter den dort genannten Voraussetzungen verpflichtet ist, die erforderlichen Aufwendungen für die vom Leistungsberechtigten selbst beschafften Hilfen zu übernehmen. Die Bestimmung knüpft daran an, dass der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und die Deckung des Bedarfs bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat. Das Verwaltungsgericht hat diese Voraussetzungen als erfüllt angesehen, ohne dass die Beklagte die hierzu getroffenen Feststellungen zulassungsbegründend in Frage gestellt hat. Ist die Behörde jedoch – wie hier – bei ihrer ablehnenden Entscheidung zu Unrecht davon ausgegangen, dass ein Hilfebedarf nicht besteht, kann sie in dem Streit um die Kostenübernahme nach § 36 a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII nicht einwenden, ihr hätte bei rechtmäßigem Verhalten ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage zugestanden, wie dem Bedarf angemessen Rechnung zu tragen ist. § 36 a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII macht die Begründetheit des Kostenübernahmeverlangens insoweit nur davon abhängig, dass die Aufwendungen für die selbst beschaffte Hilfe dem Grunde und der Höhe nach erforderlich gewesen sind.

2) Die Rechtssache weist auch nicht die ihr von der Beklagten beigemessene grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gem. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf.
Grundsätzliche Bedeutung besitzt eine Rechtssache nur, wenn zu erwarten ist, dass die Entscheidung im angestrebten Rechtsmittelverfahren zur Beantwortung von entscheidungserheblichen konkreten Rechts- oder Tatsachenfragen beitragen kann, die eine über den Einzelfall hinausgehende Tragweite besitzen und die im Interesse der Rechtseinheit oder Weiterentwicklung des Rechts einer Klärung bedürfen. Gemäß § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Antragsschrift darzulegen. Die grundsätzliche Bedeutung nur dann dargelegt i. S. d. § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO, wenn in der Antragsbegründung eine konkrete rechtliche oder tatsächliche Frage formuliert und zugleich substantiiert vorgetragen wird, inwiefern der Klärung dieser Frage eine im Interesse der Rechtssicherheit, Vereinheitlichung oder Fortbildung des Rechts über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung zukommt und warum es auf die Klärung der zur Überprüfung gestellten Frage im konkreten Fall entscheidungserheblich ankommt. Die von der Beklagten aufgeworfene Frage, „nach welchen Mindeststandards die Feststellung einer Dyskalkulie im Rahmen des § 35 a SGB VIII zu erfolgen hat“ ist einer grundsätzlichen, fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren so nicht zugänglich ist. Vorgegeben ist durch das Gesetz nur, dass die Stellungnahme auf Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen ist (§ 35 a Abs. 1 a Satz 2 SGB VIII): Ob und inwieweit diese Stellungnahme methodisch fehlerfrei erstellt und deshalb überzeugend ist, ist einer weiteren fallübergreifenden Klärung der Frage nicht zugänglich, weil dies stets eine Frage der Würdigung im Einzelfall bleibt.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist nicht unanfechtbar.