VG Halle 03.02.2016

Abschrift

AUSFERTIGUNG

VERWALTNGSGERICHT HALLE

AZ.: 7 A 93/14 HAL

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In der Verwaltungsrechtssache

des minderjährigen Kindes xxx, gesetzlich vertreten durch die Mutter, Frau xxx,

Klägers,

Proz.-Bev.: Rechtsanwältin xxx,

gegen

den Landkreis xxx, vertreten durch den Landrat,

Beklagten,

Streitgegenstand: Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII

hat das Verwaltungsgericht Halle – 7. Kammer – auf die mündliche Verhandlung vom 28. Januar 2016 durch die Richterin am Verwaltungsgericht xxx als Einzelrichterin für Recht erkannt:

Der Bescheid des Beklagten vom 18. März 2014 wird aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Aufwendungen für die Therapie seiner Rechenschwäche im Zentrum zur Therapie der Rechenschwäche Dessau-Roßlau, Wittenberg im Zeitraum vom 22. April 2014 bis zum 31. März 2015 zu erstatten. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Betrages abwenden, der vollstreckt werden soll, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der am 25. November 2001 geborene Kläger wurde im Jahr 2009 eingeschult. Seit der 2. Klasse besucht er die Pestalozzischule in Wittenberg. Am 17. Oktober 2013 beantragte er beim Beklagten die Bewilligung von Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII in Form einer Lerntherapie. Nach der Ergebnismitteilung der schulpsychologischen Untersuchung des Landesschulamtes Sachsen-Anhalt vom 07. Januar 2014 besteht aus schulpsychologischer Sicht beim Kläger der Verdacht des Vorliegens einer kombinierten Störung der schulischen Fertigkeiten. Nach der ärztlichen Stellungnahme der Frau Dipl.-Psychologin xxx und des Arztes in Weiterbildung xxx, beide beschäftigt bei der SALUS gGmbH in Bernburg, vom 04. Februar 2014 liegt beim Kläger eine emotionale Störung im Kinder- und Jugendalter (F 93.9 Hauptdiagnose) und eine kombinierte Störung der schulischen Fertigkeiten (F 81.3 Nebendiagnose) vor. Unter familiäre Belastungen werden belastende intrafamiliäre Beziehungen, eine inadäquate oder verzerrte intrafamiliäre Kommunikation, belastende Erziehungsbedingungen und chronische Belastungen im Zusammenhang mit der Schule und der Arbeit festgestellt. Aus ärztlicher Sicht liegt beim Kläger eine deutliche soziale Beeinträchtigung in mindestens einem oder zwei Bereichen vor. Die seelische Gesundheit weicht aufgrund der gestellten Haupt- und Nebendiagnose länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand ab. Aus ärztlicher Sicht sind wegen der festgestellten psychischen Störung die Voraussetzungen zur Prüfung des Bedarfs einer Hilfe nach § 35 a SGB VIII gegeben. Nach Durchführung eines Hausbesuches in der klägerischen Familie am 20. Februar 2014 und einer Teamberatung am 05. März 2014 lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 18. März 2014 ab, weil im Falle des Klägers die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nicht beeinträchtigt sei und eine solche Beeinträchtigung auch nicht drohe. Der Kläger hat am 25. April 2014 bei dem Gericht Klage erhoben. Bereits am 22. April 2014 hat er mit dem Zentrum zur Therapie der Rechenschwäche Dessau-Roßlau, Wittenberg einen Vertrag über eine Dyskalkulietherapie (eine Stunde wöchentlich) abgeschlossen. Nach der von ihm zur Gerichtsakte gereichten Stellungnahme des Trainers beim HBC Wittenberg e.V. Herr xxx vom 10. Juni 2014 zog sich der Kläger aufgrund der Ablehnung/Ausgrenzung durch die anderen Kinder immer mehr zurück und nahm nur noch gelegentlich am Trainingsbetrieb teil. Im Dezember 2013 meldete er sich dann schließlich als aktives Mitglied aus dem Verein ab. Mit Beschluss vom 27. August 2014 hat die Kammer zunächst den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Hiergegen hat er eine umfassend begründete Beschwerde eingelegt, der ein Protokoll über seine Zeugenvernehmung durch die Polizeidienststelle in Lutherstadt Wittenberg vom 24. März 2014, eine „Stellungnahme zur Behauptung, xxx ist im Freundeskreis integriert“ der Arbeitskollegin seiner Mutter Frau xxx vom 05. Juni 2014, eine „Stellungnahme zur Integration und Teilhabe von xxx …“ einer Frau xxx vom 06. Juni 2014, ein Bericht der Dyskalkulietherapeutin Frau xxx vom 07. Juli 2014 sowie ein Bericht des Akademischen Lehrkrankenhauses der Medizinischen Hochschule Hannover vom 28. August 2014 (PKH-Heft Seite 39 – 49) beigefügt waren. Die Kammer hat sodann mit Beschluss vom 02. Oktober 2014 der Beschwerde des Klägers mit Beschluss vom 27. August 2014 abgeholfen und ihm für das Verfahren I. Instanz Prozesskostenhilfe gewährt. Im Dezember 2015 hat der Kläger dem Gericht einen Lernstandsbericht des Zentrums zur Therapie der Rechenschwäche Dessau-Roßlau, Wittenberg vom 24. November 2015 überlassen. Der Kläger macht im Wesentlichen geltend: Seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sei beeinträchtigt. Er nehme zwar am Karatesport teil. Dort habe er aber keine Freunde. Er werde nur geduldet. Als Außenseiter trainiere er meistens in der Erwachsenengruppe seiner Mutter mit. Hier finde Integration und Teilhabe ausschließlich auf Einwirken seiner Mutter statt. Er sei zum Spielball seiner Mitschüler geworden, die ihn nicht akzeptierten. Kontakt mit ihm werde nur dann aufgenommen, wenn keine anderen gleichaltrigen Kinder aus der Klasse oder Nachbarschaft zur Verfügung stünden. Ansonsten sei er uninteressant und werde ausgegrenzt. Er komme nur mit jüngeren Kindern klar und finde nur mit Einwirkung der Erwachsenen Spielgefährten. Der Arztbericht vom 28. August 2014 stütze seinen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII. Neben den Feststellungen zur erheblichen Lernbehinderung sei auch festgestellt worden, dass bedingt durch Misserfolge bereits ängstlich-depressive Verhaltenstendenzen auftreten würden und bei Frustrationen auch impulsiv-überschießend reagiert werde. Dadurch seien Vermeidungsstrategien bei Anforderungen entwickelt und das Selbstkonzept der eigenen Schuldfähigkeit deutlich herabgesetzt worden. Eine Aufarbeitung des Erlebten und des Verhaltens hätten bei ihm zu einem sozialen Rückzug, körperlichen Beschwerden, Angst und Depressivität, sozialen Problemen, zu einer Aufmerksamkeitsstörung sowie delinquentem und aggressivem Verhalten geführt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 18. März 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm die Kosten für die ZTR-Therapie, die in der Zeit vom 22. April 2014 bis zum 31. März 2015 entstanden sind, zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält den geltend gemachten Anspruch für nicht begründet und führt ergänzend aus: Unstrittig sei, dass die seelische Gesundheit des Klägers länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweiche und damit die Voraussetzungen des § 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII erfüllt seien. Eine Teilhabebeeinträchtigung bzw. eine drohende Teilhabebeeinträchtigung i.S.v. § 35 a Satz 1 Nr. 2 SGB VIII könne jedoch im schulischen und familiären Bereich sowie im Freizeitbereich nicht festgestellt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen; er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen für die Therapie seiner Rechenschwäche im Zentrum zur Therapie der Rechenschwäche Dessau-Roßlau, Wittenberg im Zeitraum vom 22. April 2014 bis zum 31. März 2015 zu, der dies versagende Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 18. März 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Rechtsgrundlage für den streitbefangenen Anspruch ist § 36 a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII. Danach ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe, wenn Hilfen abweichend von den Absätzen 1 und 2 vom Leistungsberechtigten selbst beschafft werden, zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn 1. der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, 2. die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und 3. die Deckung des Bedarfs a) bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder b) bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Kläger hat den Beklagten vor der Selbstbeschaffung im April 2014 über seinen Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt, indem er am 17. Oktober 2013 einen Antrag auf Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für eine Dyskalkulietherapie gestellt hat (vgl. § 36 a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII). Zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung lagen auch die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vor (§ 36 a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII). Rechtsgrundlage hierfür ist § 35 a Abs. 1 SGB VIII. Danach haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn 1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und 2. daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (Satz 1). Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieses Buches sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Satz 2). Die Voraussetzungen des § 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGB VIII liegen hier vor. Vom Beklagten wird nicht in Abrede gestellt, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen des § 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII gegeben sind. Entgegen seiner Auffassung ist außerdem davon auszugehen, dass aufgrund dieser altersuntypischen Abweichung der seelischen Gesundheit des Klägers seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt bzw. zumindest eine solche Beeinträchtigung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist gekennzeichnet durch die aktive, selbstbestimmte und altersgemäße Ausübung sozialer Funktionen und Rollen in den das Kind oder den Jugendlichen betreffenden Lebensbereichen wie Familie, Freundeskreis, Schule und Freizeit, wobei eine Störung der Teilhabe bereits dann vorliegt, wenn sich die Störung in einem der Lebensbereiche auswirkt. Sie kann nicht nur durch eine Ausgrenzung der Umwelt, sondern auch durch subjektive Schwierigkeiten des Betroffenen, aktiv am Leben teilzunehmen, bedingt werden. Von einer Teilhabebeeinträchtigung im Sinne des § 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII ist daher auszugehen, wenn die seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit des Betroffenen zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung erwarten lässt, was sich beispielsweise in einer auf Versagensängsten beruhenden Schulphobie, einer totalen Schul- und Lernverweigerung, bei einem Rückzug aus jedem sozialen Kontakt und einer Vereinzelung in Schule, Familie und Freizeit äußert sowie im Auftreten psychosomatischer Reaktionen wie Schlafstörung, Ritzen, Einnässen oder Nägel kauen. Bloße Schulprobleme und Schulängste, die andere Kinder und Jugendliche teilen, genügen demgegenüber für die Annahme einer Teilhabebeeinträchtigung nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 1998 – 5 C 38/97 -, FEVS 49, 487; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19. Dezember 2003 – 3 O 184/03 -; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26. März 2007 – 7 E10212/07 -, FEVS 58, 477; VG Cottbus, Beschluss vom 03. Dezember 2013 – 3 L 254/13 -). Die Feststellungen hierzu sind vom insoweit allein entscheidungsbefugten Jugendhilfeträger aus eigener sozialpädagogischer Sachkunde zu treffen. Gleichwohl handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung durch den Jugendhilfeträger der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt (VG Cottbus, Beschluss vom 03. Dezember 2013 – 3 L 254/13 – m.w.N.). Hier ergibt sich zumindest eine drohende Teilhabebeeinträchtigung in den den Kläger betreffenden Lebensbereichen Freizeit, Freundeskreis und Schule. Nach Auffassung der Kammer spricht schon vieles dafür, dass die beim Kläger fachärztlicherseits diagnostizierte emotionale Störung im Kinder- und Jugendalter (F 93.9) zu subjektiven Schwierigkeiten führt, aktiv am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen. Dass diese Schwierigkeiten vorhanden sind, ergibt sich aus der Stellungnahme der Frau Dipl.-Psychologin xxx und des Arztes in Weiterbildung xxx, beide beschäftigt bei der SALUS gGmbH in Bernberg, vom 04. Februar 2014, wonach beim Kläger eine deutliche. soziale Beeinträchtigung in mindestens einem oder zwei Bereichen vorliegt. Erhebliche Probleme des Klägers im Lebensbereich Freizeit werden durch die Stellungnahme des Trainers beim HBC Wittenberg e.V. Herr xxx vom 10. Juni 2014 deutlich. Danach hat sich der Kläger aufgrund der Ablehnung/Ausgrenzung durch die anderen Kinder immer mehr zurückgezogen und sich dann schließlich im Dezember 2013 als aktives Mitglied aus dem Handballverein abgemeldet. Des Weiteren hat der Kläger selbst im gerichtlichen Verfahren unwidersprochen vorgetragen, er nehme zwar am Karatesport teil, habe dort aber aufgrund seiner seelischen Störungen keine Freunde. Er werde nur geduldet. Als Außenseiter trainiere er meistens in der Erwachsenengruppe seiner Mutter mit. Hier finde Integration und Teilhabe ausschließlich auf Einwirken seiner Mutter statt. Außerdem finden schulisch und außerschulisch die vom Kläger erwünschten Kontakte zu anderen Kindern nicht statt. Nach eigenen Angaben des Klägers sei er zum Spielball seiner Mitschüler geworden, die ihn nicht akzeptierten. Kontakt mit ihm werde nur dann aufgenommen, wenn keine anderen gleichaltrigen Kinder aus der Klasse zur Verfügung stünden. Ansonsten sei er uninteressant und werde ausgegrenzt. Er komme nur mit jüngeren Kindern klar und finde nur mit Einwirkung der Erwachsenen Spielgefährten. Die klägerischen Ausführungen werden bestätigt durch die Stellungnahme der Frau xxx, eine Arbeitskollegin der Mutter des Klägers, vom 05. Juni 2014. Nach Einschätzung der Dipl. Sozialpädagogin (FH) Frau xxx hätten ihr Sohn xxx und der Kläger gemeinsam Spaß beim Rumtoben im Garten, allerdings nur so lange, wie sie zu zweit seien. Sei ein gleichaltriger Junge aus der Klasse oder der Nachbarschaft dabei, werde der Kläger ausgegrenzt. Auch aus der Stellungnahme der Frau xxx vom 06.Juni 2014. deren Sohn Jacin der nur zwei Monate jüngere Cousin des Klägers ist, ergibt sich, dass dieser keine festen Freunde hat. Nach ihrer schriftlichen Erklärung werde der Kläger von anderen Kindern – auch von ihrem Sohn – nicht akzeptiert; es werde nach Wegen gesucht, ihn loszuwerden. Wenn der Kläger geärgert und ausgegrenzt werde, schaue ihr Sohn Jacin weg. Mittlerweile ziehe sich der Kläger immer mehr zurück. Bei Gleichaltrigen sei er nicht anerkannt und integriert. Eine Integration und Teilhabe (eher Duldung) finde auf Einwirken von Erwachsenen statt und erlösche, wenn diese nicht mehr anwesend seien. Die vorstehenden Ausführungen zugrunde gelegt, hält die Feststellung des Beklagten, im Falle des Klägers liege weder eine Teilhabebeeinträchtigung noch eine drohende Teilhabebeeinträchtigung vor, rechtlich nicht stand. Die Deckung des Bedarfs duldete seit dem Ergehen des ablehnenden Bescheides des Beklagten auch keinen zeitlichen Aufschub. Es ist davon auszugehen, dass die Deckung des Bedarfs bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (§ 36 a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b SGB VIII). Denn im Hinblick auf die üblichen Verfahrenslaufzeiten des Gerichts, die unstreitig gegebene seelische Störung und die fachärztlicherseits bescheinigte deutliche soziale Beeinträchtigung in mindestens einem oder zwei Bereichen war es dem Kläger nicht zuzumuten, die gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Die vom Kläger selbst beschaffte Hilfe ist auch geeignet und angemessen. An der Geeignetheit der Dyskalkulietherapie bestehen aufgrund des Lernstandsberichtes des Zentrums zur Therapie der Rechenschwäche Dessau-Roßlau, Wittenberg vom 24. November 2015 keine ernsthaften Zweifel. Danach sind das Mathematische Denken und die Anstrengungsbereitschaft des Klägers deutlich gewachsen. Der Kläger konnte in den zurückliegenden Monaten seine Kompetenzen in Mathematik weiter verbessern. Seine Lernerfolge sind stetig. Dies führte zu einer positiven Veränderung des Selbstwertgefühls und zur Abnahme der ablehnenden Haltung gegenüber mathematischen Lernanforderungen. Ebenso wenig bestehen an der Angemessenheit der selbstbeschafften Hilfe Zweifel. Anhaltspunkte dafür, dass die vom Kläger für seine DyskalkuIietherapie aufgewandten Kosten unverhältnismäßig hoch sind, sind nicht ersichtlich. Die Therapie findet auch nur einmal wöchentlich für die Dauer einer Stunde statt. Ist die Zulässigkeit der Selbstbeschaffung – wie hier – zu bejahen, so hat der Leistungsberechtigte einen Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen, die ihm durch die Selbstbeschaffung der Leistung entstanden sind. Das sind hier die Aufwendungen für die Dyskalkulietherapie im Zentrum zur Therapie der Rechenschwäche Dessau-Roßlau, Wittenberg im Zeitraum vom 22. April 2014 (Vertragsabschluss mit dem ZTR) bis zum 31. März 2015. Nach der Verwaltungspraxis des Beklagten wird eine Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII in Form der Übernahme der Kosten für eine Dyskalkulietherapie für die Dauer eines .Jahres nach Bescheiderlass gewährt. In Auslegung des angefochtenen Bescheides geht das Gericht insoweit davon aus, dass von der Ablehnungsentscheidung des Beklagten auch der Zeitraum erfasst ist, der – entsprechend seiner Verwaltungspraxis – bei einer Bewilligung hätte geregelt werden können. Dieser Zeitraum erstreckt sich nach Erlass des Bescheides am 18. März 2014 bis zum 31. März 2015. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil ist die Berufung an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt in Magdeburg statthaft, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist bei dem Verwaltungsgericht Halle, Thüringer Straße 16, 06112 Halle, innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich zu beantragen. Der Zulassungsantrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Breiter Weg 203 – 206, 39104 Magdeburg, einzureichen. Vor dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies betrifft auch die Einreichung des Zulassungsantrages und seiner Begründung.

Als Prozessbevollmächtigte vor dem Oberverwaltungsgericht sind zugelassen:

  1. Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt haben.
  2. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Diplom-Juristen aus dem Beitrittsgebiet im Sinne des § 5 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder Diplom-Juristen aus dem Beitrittsgebiet im zuvor genannten Sinn anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse als Prozessbevollmächtigte vertreten lassen.
  3. In Abgabeangelegenheiten: Auch Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne des § 3 Nr. 3 a des Steuerberatungsgesetzes sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Nr. 2 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes handeln.
  4. Berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder.
  5. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder.
  6. In Angelegenheiten der Kriegsopferfürsorge und des Schwerbehindertenrechts sowie der damit in Zusammenhang stehenden Angelegenheiten: Auch Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsgesetz oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten.
  7. Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 und 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter. Ein Beteiligter, der nach den Nummern 1 und 3 bis 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.

Bei dem Verwaltungsgericht Halle und bei dem Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt können in allen Verfahrensarten auch elektronische Dokumente nach Maßgabe der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften des Landes Sachsen-Anhalt (ERVVO) eingereicht werden.

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Ausgefertigt:

Halle, den 03.02.2016