VG Hannover 03.07.2014

Abschrift

VERWALTUNGSGERICHT HANNOVER

Az.: 3 B 9975/14

BESCHLUSS

In der Verwaltungsrechtssache

1. der Frau

2. der Frau

3. der Frau

4. der Frau

5. der Frau

6. der Frau

7. der Frau

8. der Frau

9. der Frau

10. der Frau

11. der Frau

12. der Frau

13. der Frau

14. der Frau

15. der Frau

16. der Frau

17. der Frau

18. der Frau

19. der Frau

20. des Herr

21. der Frau

22. der Frau

23. der Frau

24. der xxx Rechenschwäche-Dyskalkulie

Antragsteller,

Proz.-·Bev. zu 1-24: xxx

gegen

xxx

Antragsgegnerin,

Streitgegenstand: Aufnahme in Anbieterliste für ambulante Eingliederungshilfmaßnahmen ohne besondere Kennzeichnung – Antrag nach § 123 VwGO

hat das Verwaltungsgericht Hannover – 3. Kammer – am 3. Juli 2014 durch den Berichterstatter beschlossen:

Das Verfahren wird eingestellt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Nachdem die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen; zugleich entscheidet das Gericht gemäß § 161 Abs. 2 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Kosten.

Billigem Ermessen entspricht es, der Antragsgegnerin die Kosten aufzuerlegen, denn sie wäre bei einer streitigen Entscheidung des Verfahrens voraussichtlich unterlegen gewesen.

Streitgegenstand des Verfahrens war das Begehren der Antragsteller, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, im Rahmen der Bewilligung von ambulanten Dyskalkulie- oder Legasthenietherapien auf Basis des § 35a SGB VIII den Leistungsberechtigten eine Anbieterliste zur Verfügung zu stellen, in denen sie – die Antragsteller nicht (mehr) aufgeführt sind („gefilterte“ Liste). Hintergrund dafür war die Ankündigung der Antragsgegnerin, ab dem 01.07.2014 aus der von ihr bereits seit mehreren Jahren geführten und den Leistungsberechtigten im Rahmen des Bewilligungsverfahrens zur Verfügung gestellten Liste von Anbietern ambulanter Legasthenie-und Dyskalkulietherapien diejenigen Anbieter zu streichen, die das von ihr – der Antragsgegnerin ~ unterbreitete Angebot einer Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsvereinbarung auf der Basis von § 77 SGB VIII bis dahin nicht angenommen hatten.

Für ihr Begehren, das sich mit der Erklärung der Antragsgegnerin, in Zukunft überhaupt keine Anbieterliste den Leistungsberechtigten gegenüber mehr verwenden zu wollen, in der Sache erledigt hat, hatten die Antragsteller bei summarischer Prüfung sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht.

Der Anordnungsanspruch ergab sich danach daraus, dass die Verwendung der „gefilterten“ Liste einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die grundrechtlich gemäß Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit der Antragsteller bedeutet hätte. Ein hoheitliches Handeln greift bereits dann in den Schutzbereich der Berufsfreiheit ein, wenn es auf Grund seiner tatsächlichen Auswirkungen die Berufsfreiheit zumindest mittelbar beeinträchtigt und es erkennbar eine berufsregelnde Tendenz oder eine voraussehbare oder in Kauf genommene schwerwiegende Beeinträchtigung der beruflichen Betätigungsfreiheit aufweist. Davon ist unter anderem dann auszugehen, wenn durch hoheitliches Handeln der Wettbewerb beeinflusst wird und Konkurrenten deutlich benachteiligt werden (BVerfG, Beschl. vom 25.03.1992 – 1 BvR 298/68 – BVerfGE 86, 28, 37).

Mit der Streichung der Antragsteller aus der Anbieterliste hätten diese gegenüber den auf der Liste verbleibenden Anbietern ambulanter Legasthenie- oder Dyskalkulietherapien einen deutlichen Wettbewerbsnachteil hinnehmen müssen. Denn es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung und ist nahe liegend, dass die Leistungsberechtigten, schon um die Leistungsbewilligung in der Sache nicht zu gefährden oder in der Abwicklung zu verkomplizieren, zur Auswahl eines konkreten Therapieangebotes vorrangig auf eine vom Jugendhilfeträger zur Verfügung gestellte Anbieterliste zurückgreifen, zumal wenn damit der Hinweis verbunden ist, dass damit die kostenmäßige Abwicklung gesichert sei. Anbieter, die nicht auf dieser Liste aufgeführt sind, obwohl sie fachlich zur Durchführung derartiger Therapien geeignet sind, müssen deshalb damit rechnen, für vom Jugendhilfeträger bewilligte und somit auch finanzierte Therapien von den Leistungsberechtigten nicht (mehr) nachgefragt zu werden. Darin liegt eine erhebliche Schwächung ihrer aus Art. 12 GG geschützten Marktteilnahmechancen.

Eine sachliche Rechtfertigung für den deshalb in der Streichung aus der Anbieterliste liegenden Grundrechtseingriff besteht nicht. Sie ergibt sich insbesondere nicht aus dem Umstand, dass die Antragsteller das ihnen von der Antragsgegnerin unterbreitete Angebot zum Abschluss einer Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsvereinbarung auf der Basis von § 77 SGB VIII bisher nicht angenommen haben. Das Vorhandensein einer derartigen Vereinbarung ist nämlich, anders als im Grundsatz: nach § 78b Abs. 1 SGB VIII im Bereich der (teil-) stationären Jugendhilfeleistungen; gerade nicht Voraussetzung für die Übernahme der für die ambulante Therapie anfallenden Kosten. Das in § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII verankerte Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten hinsichtlich des Leistungserbringers wird allein vom Mehrkostenvorbehalt in § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII begrenzt. Das bedeutet, dass der Jugendhilfeträger bei seiner Entscheidung über das Hilfebegehren und die damit verbundene Übernahme der für die bewilligte Therapie anfallenden Kosten gerade nicht im Grundsatz danach differenzieren darf, ob mit einem vom Leistungsberechtigten gewünschten Therapieanbieter eine Vereinbarung nach § 77 SGB VIII geschlossen worden ist oder nicht. Vielmehr hat der Jugendhilfeträger in jedem Einzelfall allein nach Maßgabe des § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII darüber zu befinden. ob die von einem nicht vereinbarungsgebundenen Anbieter für die Therapie in Rechnung gestellten Kosten sich noch in der Bandbreite angemessener Kosten bewegen oder im Sinne dieser Vorschrift „unangemessen“ sind. Dabei ist es rechtlich durchaus denkbar, dass von einem nicht vereinbarungsgebundenen Anbieter in Rechnung gestellte Kosten, die – namentlich hinsichtlich des Entgeltsatzes für die einzelne Therapieeinheit – höher sind als die von der Antragsgegnerin in ihrem Vereinbarungsangebot festgelegten Kosten, sich gleichwohl noch in der Bandbreite angemessener Mehrkosten im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bewegen und deshalb von der Antragsgegnerin zu übernehmen sind. Angesichts dessen läge in der Verwendung einer „gefilterten“ Anbieterliste seitens der Antragsgegnerin sogar ein Verstoß gegen die Pflicht des Jugendhilfeträgers aus § 5 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII, die Leistungsberechtigten über ihr Wunsch- und Wahlrecht sachlich und rechtlich zutreffend zu informieren.

Bei summarischer Prüfung hatten die Antragsteller auch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht Dafür ist nicht entscheidend, in welchem Umfang die einzelnen Antragsteller in der Vergangenheit bereits von der Antragsgegnerin bewilligte Therapien durchgeführt hatten oder solche gegenwärtig durchführen. Maßgebend ist vielmehr, dass allen Antragstellern bei einem Verweis auf ein Hauptsacheverfahren im Hinblick auf ihre weiteren Marktteilnahmechancen bereits konkrete Beeinträchtigungen drohten. Angesichts der offenkundigen Rechtswidrigkeit des beabsichtigten Vorgehens der Antragsgegnerin einerseits und der Grundrechtsbetroffenheit auf Seiten der Antragsteller andererseits sind unter Berücksichtigung des Verfassungsgebotes zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes an die Darlegung erheblicher Nachteile bei einem Zuwarten auf den Ausgang eines Hauptsacheverfahrens keine weitergehenden Anforderungen zu stellen.

Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 VwGO.

Rechtsmittelbelehrung

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.